Flüchtlinge aus Afghanistan benötigen Anwalt, um bleiben zu können - Hilfsfonds ermöglicht finanzielle Unterstützung

21.06.2017

Wie sicher ist das Leben in Afghanistan? „Seit Innenminister de Maiziere erklärte, dass es in Afghanistan sichere Gebiete gibt, werden immer mehr afghanische Flüchtlinge abgelehnt, ungeachtet der sich dramatisch verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan.“ Martina Domke, Leiterin des Fachdienstes Migration des Diakonischen Werkes Köln und Region, betrachtet diese Entwicklung mit großer Sorge.

Menschenrechtsorganisationen warnen vor der gefährlichen Sicherheitslage

Die Vereinten Nationen verzeichnen in den letzten Jahren einen Anstieg bewaffneter Auseinandersetzungen. Das UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) sprach 2016 von der höchsten Zahl ziviler Opfer seit 2009. Hunderttausende sind innerhalb des Landes, das zu drei Vierteln aus schwer zugänglichen Gebirgen besteht, auf der Flucht. Auch Mitarbeitende von Hilfsorganisationen sind nicht mehr sicher in Afghanistan. 78 Prozent der afghanischen Asylsuchenden in Deutschland erhielten 2015 nach inhaltlicher Prüfung einen Schutzstatus. „Schon allein diese Zahl zeigt, dass die aktuelle Debatte über Flüchtlinge aus Afghanistan an der Wirklichkeit vorbei führt“, sagt Domke.

Den Eindruck, dass ihre Heimat von kriegerischen Auseinandersetzungen beherrscht wird, vermitteln auch die Menschen, die in der Flüchtlingsberatung des Diakonischen Werkes Hilfe suchen. Ana Jawad-Pietsch spricht die afghanische Landessprache Dari. Sie berät viele afghanische Flüchtlinge zu Fragen des Aufenthaltstrechts und Asylverfahrens.

Zwei Brüder auf der Flucht vor den Taliban

Wie zum Beispiel die Brüder Rohullah und Esmatollah: geboren 1998 und 1995 in Behud. Ihr Leben in Afghanistan sei trotz Armut zunächst gut gewesen, erzählen sie in der Beratung. Als die beiden 12 und 15 Jahre alt waren, brannten die Taliban in Behud Häuser und Schulen ab und töteten ihren Vater. Die Brüder hatten jeden Tag Angst, ebenfalls getötet zu werden. Die schwerkranke Mutter starb. Im April 2014 wurde Esmatollah vom Geheimdienst ins Gefängnis gebracht und verhört. Aus Angst vor weiteren Repressalien verkauften die beiden Brüder das Stück Land, das sie besaßen, und machten sich auf den Weg nach Europa.

Im Januar 2015 endlich in Deutschland angelangt, stellten sie beide einen Asylantrag und suchten die Flüchtlingsberatung auf. Esmattollah bat um Geld für einen Anwalt, weil die Behörden seinen 17-jährigen Bruder nicht als minderjährig einstuften.
"Der große Bruder sagte, es ist mir egal, was mit mir passiert, aber meinem kleinen Bruder müssen sie unbedingt helfen, der braucht einen Rechtsanwalt", erinnert sich Ana Jawad-Pietsch. Sie konnte dem Rechtshilfefonds der Diakonie 150 Euro entnehmen, um einen Anwalt einzuschalten. Dieser setzte sich erfolgreich für Rahmatullah ein. Er kann weiterhin die Berufsschule besuchen und beginnt im August eine Ausbildung zum Elektroniker mit Schwerpunkt Energie- und Gebäudetechnik.

Volljährige haben noch mehr Hindernisse zu überwinden

Weil Esmatollah bei seiner Ankunft in Deutschland bereits volljährig ist, hat er es schwerer: Als afghanischer Staatsbürger ist er von den Integrationskursen ausgeschlossen. Sie sind vor einer Anerkennung nur für Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Irak und Eritrea kostenlos. Esmatollah besuchte trotzdem unterschiedliche kostenlose Deutschkurse und machte mehrere Praktika. Ende März 2017 dann der Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Beide Brüder sind nicht anerkannt worden. Ana Jawad-Pietsch setzt erneut auf anwaltliche Hilfe. Je 150 Euro pro Bruder als Zuschuss aus dem Rechtshilfefonds reichen als Anzahlung für die Beauftragung eines Anwaltes.

Mutter flieht mit Kindern aus Angst vor Zwangsehe

Ein anderes Beispiel ist Frau Rahimi mit ihren beiden Kindern Haniyeh (17) und Mahdi (14). Sie sind Angehörige der ethnischen Minderheit der Hazara, die in Afghanistan verfolgt und gezielt getötet werden. Frau Rahimi berichtet Ana Jawad-Pietsch von der ständigen Angst, Opfer eines Angriffes zu werden, von der öffentlichen Enthauptung eines Hazara, der sie zusehen musste und dass sie danach nicht mehr schlafen konnte. Eines Tages kam ein alter Taliban, um die damals 13-jährige Tochter Haniyeh zur Frau zu nehmen. Der Vater wehrte sich, wurde entführt. Der Mutter brachte man seine blutige Kleidung und sagte, er sei tot. Weil Frau Rahimi befürchtete, dass Haniyeh jeden Tag abgeholt werden könnte, beschloss sie, mit ihren beiden Kindern das Land zu verlassen.

Aufenthaltserlaubnis nur mit anwaltlicher Hilfe

Die Familie reiste Anfang 2015 nach Deutschland ein. Es folgte eine Odyssee durch viele Unterkünfte, bis sie 2016 eine Zuweisung nach Köln erhielt. Die drei leben jetzt im Flüchtlingswohnheim für allein reisende Frauen und Mütter mit Kindern, das das Diakonische Werk Köln und Region seit 2016 in Köln-Sülz betreut. Die Mutter und ihre beiden Töchter sind schwer traumatisiert und werden therapeutisch behandelt. Haniyeh und Mahdi gehen endlich zur Schule und machen große Fortschritte. Im Februar 2017 erhielt die Familie den Bescheid des Bundesamtes: Abschiebehindernisse sind festgestellt, sie bekommen eine Aufenthaltserlaubnis. Auch dies konnte nur mit Hilfe eines Rechtsanwaltes erreicht werden.

150 Euro aus dem Hilfefonds können das Leben positiv verändern

Damit Menschen aus Afghanistan und anderen Krisenregionen, den Schutz erhalten, der ihnen nach dem Asylrecht zusteht, suchen die Flüchtlingsberaterinnen des Diakonischen Werkes nach individuellen Lösungen. Sie sprechen mit Ausländerbehörden, vermitteln in Therapien, organisieren Schul- und Ausbildungsplätze. Manchmal hilft aber nur noch der Einsatz eines Anwaltes. Dieser kostet Geld. Nach einer Anzahlung von 150 Euro übernehmen die Anwälte den Fall. Die restlichen Kosten können von den Flüchtlingen in Raten gezahlt werden.

Spenden werden noch bis Ende Juli verdoppelt

Um im Notfall schnell und unbürokratisch helfen zu können, gibt es den „Hilfsfonds für Flüchtlinge“. Daraus werden nicht nur Anwaltskosten bezahlt, sondern auch Übersetzungen von Dokumenten, Gebühren für Pässe, Fahrkarten und Krankentransporte – und manchmal auch Babynahrung und Windeln.

Noch bis Ende Juli 2017 verdoppelt der Evangelische Kirchenverband Köln und Region alle Spenden, die mit dem Stichwort „Hilfsfonds für Flüchtlinge“ auf folgendem Spendenkonto eingezahlt werden: DE10 3705 0299 0000 0044 04.

http://doc.kirche-koeln.de/Diakoniespende-2016.pdf

Radio-Tipp:

Am Donnerstag, 22. Juni, 20 Uhr,Radio Köln (UKW 107,1): Ana Jawad-Pietsch und Martina Domke berichten von ihren Erfahrungen mit afghanischen Flüchtlingen in der Flüchtlingsberatung.

Der Beitrag wurde von der evangelischen Radiowerkstatt StudioEck produziert und kann dort nach der Erstausstrahlung als Podcast angehört werden: www.studioeck.de