Evangelische Betreuungsvereine sterben aus

12.06.2018

Die 50 evangelischen Betreuungsvereine der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe schlagen Alarm: Wenn die längst beschlossene Erhöhung der Betreuervergütung nicht umgesetzt wird, geht das Vereinssterben weiter. Fünf haben bereits ihre Arbeit eingestellt. In Köln wird gerade einer der ältesten evangelischen Vereine aufgelöst. Rund 400 Menschen haben die Mitarbeitenden betreut, 150 ehrenamtliche Betreuer geschult und zahlreiche Angehörige in Betreuungsfragen beraten.

Ältestes Arbeitsfeld des Diakonischen Werkes Köln und Region

Das Diakonische Werk Köln und Region ohne einen Betreuungsverein – lange Jahre war das nicht vorstellbar. „Als unsere Diakonie 1924 gegründet wurde, gehörten Vormundschaften für Kinder und Jugendliche zu unseren ersten Aufgaben“, erzählt Geschäftsführerin Helga Blümel. 1927 entstand der Verein, der auch rechtliche Betreuungen für psychisch- und suchtkranke Menschen, Wohnungslose und demenziell erkrankte Senioren übernahm. Mit 10 bis 15 Mitarbeitenden und 150 ehrenamtlichen Betreuern zählte er zu den größten evangelischen Vereinen, die unter dem Dach der Diakonie RWL tätig sind.

„Es ist ein ganz schwerer Schritt gewesen, diese historisch gewachsene Arbeit aufzugeben“, erklärt Helga Blümel, die zwölf Jahre Vorsitzende des Betreuungsvereins war. „Wir haben lange gekämpft, aber vor drei Jahren war klar, dass wir es finanziell nicht mehr schaffen.“ Zuletzt musste die Diakonie ihren Verein mit rund 150.000 Euro jährlich unterstützen. Das riss ein tiefes Loch in den ohnehin knapp bemessenen Haushalt.

Vereinssterben schadet auch ehrenamtlicher Arbeit

Nach Duisburg und Herford sind die Kölner der fünfte Betreuungsverein der insgesamt 50 evangelischen Vereine zwischen Bielefeld und Saarbrücken, den finanzielle Probleme zur Auflösung zwingen. Bundesweit gibt es rund 850 Betreuungsvereine, 170 davon in NRW. Die meisten haben mit Finanznöten zu kämpfen. Dabei leisten ihre Mitarbeitenden eine Arbeit, die immer wichtiger wird. Schließlich können rund 1,3 Millionen Menschen in Deutschland ihr Leben nicht mehr alleine regeln und benötigen eine rechtliche Betreuung. Tendenz zunehmend.

„Wenn immer mehr Vereine dicht machen, fallen nicht nur die dringend benötigten rechtlichen Betreuungen weg, die von den Mitarbeitenden geführt werden“, betont Waltraud Nagel, die bei der Diakonie RWL für die Betreuungsvereine zuständig ist. „Auch die Schulung und Begleitung ehrenamtlicher Betreuer und die Beratung von Angehörigen bricht weg.“ Immerhin liegen 55 Prozent der rechtlichen Betreuungen in den Händen von Familienangehörigen und Ehrenamtlichen. „Für sie sind unsere Vereine eine wichtige Anlaufstelle.“

Bundesrat blockiert neues Gesetz

Während die NRW-Landesregierung ihre Fördermittel für diese sogenannte „Querschnittaufgabe“ auf rund fünf Millionen für 2018 erhöht hat, fehlt das Geld für die rechtlichen Betreuungen, das auf Bundesebene festgelegt wird. Jahrelang machten die Betreuungsvereine Druck, die Stundensätze dafür anzuheben. Am 18. Mai 2017 beschloss der Bundestag eine Erhöhung von 44 auf 52 Euro.
Doch der Bundesrat muss diesem Gesetz zustimmen – was er bis heute nicht getan hat. Der Grund: Die Stundensätze bezahlen die jeweiligen Landesjustizkassen – und für diese sind acht Euro mehr pro Stunde eine Menge Geld. „Wenn das Gesetz nicht endlich umgesetzt wird, sterben weitere Vereine“, befürchtet Waltraud Nagel. „Wir fordern die NRW-Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass es endlich auf die Tagesordnung im Bundesrat kommt.“

Studie bestätigt Finanznot

Schließlich habe die NRW-Politik mit der Erhöhung der Gelder für die Querschnittaufgaben bereits signalisiert, dass ihr die Arbeit der Betreuungsvereine wichtig ist, meint die Referentin. Das Argument der Bundesländer, erst die Ergebnisse der Studie „Qualität der rechtlichen Betreuung“ abwarten zu wollen, lässt Waldtraud Nagel nicht mehr gelten. Denn sie liegen schon seit Januar vor und bestätigen, dass die öffentliche Förderung zu gering ist.

Um den Druck auf die Politik zu erhöhen und in der Öffentlichkeit bekannter zu werden, haben die evangelischen Betreuungsvereine in der Diakonie RWL im vergangenen Jahr ihre Kampagne „Würde-Bewahrer“ gestartet. Da wussten die Kölner schon, dass für sie jede Hilfe zu spät kommt.

Ein Stück Heimat verloren

„Wir haben alles versucht, um unseren Verein zu retten“, sagt Helga Blümel. Stellen wurden nach dem Ausscheiden von Mitarbeitenden nicht neu besetzt. Blümel verhandelte über ein gemeinsames Betreuungsbüro mit der Caritas und dem Sozialdienst Katholischer Frauen. Sie versuchte, mehr kommunale Gelder zu bekommen. Alles vergeblich.

Einziger Trost: Es gab keine fristlosen Kündigungen. Die zehn Mitarbeitenden sind nun in anderen Arbeitsbereichen der Diakonie beschäftigt. Doch sei ihnen schwer gefallen, die Menschen, die sie rechtlich betreuten, in andere Hände zu geben, erzählt Helga Blümel. „Zahlreiche Klienten kamen einmal in der Woche, um Geld abzuholen und mit ihrem Betreuer zu reden. Es war ein echtes Vertrauensverhältnis.“ Viele hätten nun ein Stück Heimat verloren, meint die Geschäftsführerin.

Pluspunkt der Vereine: Gute Vernetzung

„Es sind in der Regel die schwierigen Fälle, die die Betreuungsvereine übernehmen“, erklärt Waltraud Nagel. Fälle, für die nicht nur eine gute Kenntnis der Rechtslage erforderlich ist, sondern auch sozialpädagogische Kompetenz. Jeder Betreuungsverein sei gut mit anderen sozialen Hilfen wie der Schuldner- oder Suchtberatung vernetzt.

„Unsere Sozialarbeiter wissen, wie sie auch in schwierigen Situation unterstützen und motivieren können“, betont Waltraud Nagel. „Unsere Gesellschaft braucht die Betreuungsvereine. Ich kann nur hoffen, dass die Politik jetzt endlich den Rettungsanker für sie auswirft.“

Text: Sabine Damaschke
Fotos: Jürgen Schulzki