Aktionswoche Schuldnerberatung: Weg mit den Schulden

01.06.2018

Der Weg in die Schulden ist leicht: Kredite für den Umzug, das Auto – alles kein Problem. Doch mit Krankheit, Scheidung oder Arbeitslosigkeit ändert sich alles. Charlotte saß jahrelang auf einem Schuldenberg, bis sie beim Diakonischen Werk Köln und Region Hilfe bekam. Für sie wurde das Motto der diesjährigen Aktionswoche Schuldnerberatung „Weg mit den Schulden“ wahr.

Doch der Großteil der knapp sieben Millionen überschuldeten Menschen hat keinen Anspruch auf kostenfreie Beratung. „Wenn es um Schulden geht, bin ich der Klassiker“, sagt Charlotte. Doch „der Klassiker“ unter knapp sieben Millionen überschuldeten Menschen zu sein, klingt bei ihr nicht nach einer Entschuldigung. Dabei hätte die 53-jährige gepflegte, hübsche Frau mit dem schwarzen Zopf einen guten Grund dazu. Vor 16 Jahren ließ ihr Ehemann sie mit zwei kleinen Kindern und rund 30.000 Euro Schulden sitzen. Ein Berg, der in den Jahren danach immer größer statt kleiner wurde.

Kein Unterhalt vom Ex-Mann, ein schlecht bezahlter Job als Verkäuferin, das Leben in der teuren Großstadt Köln – „Immer wenn ich ein Loch gestopft hatte, tat sich ein neues auf“, erzählt Charlotte, die anonym bleiben möchte. Weil sie sich schämt – dafür, dass sie in ihrer Ehe „völlig naiv“ für alle Kredite bürgte und dafür, dass sie es trotz eisernen Sparens in all den Jahren nicht geschafft hat, den Schuldenberg abzubauen. „Bei meinem Ex-Mann war nichts zu holen. Nach der Trennung hat er immer so wenig verdient, dass er weder Unterhalt noch die Schulden bezahlt hat.“

Nächte voller Angst

Die Versuche, mit Hilfe eines Anwalts den Unterhalt einzuklagen, scheiterten. Stattdessen hinterließen sie weitere Schulden für die Anwaltskosten. Es gab Nächte, da habe sie kaum geschlafen, erzählt die Kölnerin. Es gab Tage, an denen sie die Rechnungen und Mahnungen nicht öffnen konnte. „Ich hatte Angst, dass ich mit meinen Kindern aus der Wohnung geschmissen werde oder nach einem nicht bezahlten Knöllchen ins Gefängnis komme.“ Doch irgendwie fand sie immer einen Weg, ihre Gläubiger ruhig zu halten. Ein Onkel gab ihr hin und wieder Geld. Ihre Mutter, eine Witwe mit kleiner Rente, nahm Kredite für sie auf.

2007 war die Mutter selbst überschuldet und Charlotte ging zum ersten Mal zur Schuldnerberatung des Diakonischen Werkes. Beraterin Maike Cohrs half dabei, eine Privatinsolvenz für Charlottes Mutter vorzubereiten. Schuldenfrei wurde diese nie. Sie starb zwei Jahre später. „Ich habe heute noch ein schlechtes Gewissen, dass ich meine Mutter da reingezogen habe“, sagt Charlotte mit Tränen in den Augen. 2010 bekam sie solche Rückenprobleme, dass sie erwerbsunfähig wurde. Sie erhielt aufstockende Sozialhilfe und hatte damit einen Anspruch auf kostenlose Schuldnerberatung.

Recht auf Schuldnerberatung einführen

Damit gehört sie zu den 15 Prozent der knapp sieben Millionen überschuldeten Menschen in Deutschland, denen kostenfrei in den rund 1.400 sozialen Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen geholfen wird. „Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung, damit deutlich mehr Menschen von einer qualifizierten Beratung profitieren“, betont Diakonie RWL-Referentin Petra Köpping. Eine Forderung, die die Aktionswoche Schuldnerberatung auch in diesem Jahr wieder unter dem Motto „Weg mit den Schulden“ stellt.

Dafür müssten die Beratungsstellen ausgebaut werden. Pro 50.000 Einwohner sollte es zwei vollzeitbeschäftigte Schuldnerberater geben, lautet die Forderung der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung, zu der auch die Diakonie RWL gehört. Derzeit kommen im Bundesdurchschnitt 1,03 Berater auf 50.000 Einwohner. Maike Cohrs arbeitet seit zwölf Jahren in einem achtköpfigen Team, das jährlich rund 600 überschuldete Menschen berät. Insgesamt haben die 80 Schuldnerberatungsstellen, die unter dem Dach der Diakonie RWL arbeiten, 2017 rund 53.000 Menschen betreut. Die Wartelisten sind lang.


Letzter Schritt aus den Schulden: Privatinsolvenz

In der Regel braucht Maike Cohrs sechs bis sieben Termine, um in ein Schuldenchaos wieder Ordnung zu bringen. Gemeinsam überlegt sie mit ihren Klienten, wo Ratenzahlungen eingestellt werden können. Sie berät über ein Pfändungsschutzkonto und verhandelt mit Gläubigern. Bei Charlotte, so war schnell klar, machte nur noch eine Privatinsolvenz Sinn. Sie dauert in der Regel sechs Jahre, in der die alten Schulden erlassen und keine neuen Schulden gemacht werden sollten. Ein Insolvenzverwalter übernimmt dafür die Verantwortung. Danach ist der Klient wieder schuldenfrei.

„Wir hatten schon alles dafür vorbereitet, aber Charlotte hat diesen Schritt erst 2015 gewagt“, berichtet Maike Cohrs. Dass die Kölnerin ihr Auto verkaufen musste, war das kleinere Problem. Sie hatte vor allem Angst, ihre Wohnung zu verlieren, an der sie Genossenschaftsanteile besitzt – Kapital, das gepfändet worden wäre, wenn nicht die Stadt Köln für sie gebürgt hätte. Möglich wurde diese Regelung durch eine Insolvenzrechtsreform im Jahr 2014, wonach Genossenschaftsanteile bis 2.000 Euro geschützt sind.

„Es war ein langer Weg raus aus den Schulden“, meint Charlotte. „Aber jetzt fühle ich mich frei. Ein belastendes Kapitel meines Lebens ist endlich abgeschlossen.“ Ein Satz, den die erfahrene Beraterin häufiger hört - und für den Maike Cohrs, noch während Charlotte in ihrem Büro sitzt, das Danke-Schön einer anderen Klientin erhält. Ein großer Blumenstrauß wird abgegeben. „Den haben Sie wirklich verdient“, meint Charlotte. „Der könnte glatt von mir sein.“  

Text und Fotos: Sabine Damaschke